Syrische Christen leben in Angst
"Wir Christen haben Angst", gibt Gabriel zu, der im christlichen Kulturzentrum in Qamischli arbeitet. Er kümmert sich um den Internetanschluss, entwirft Webseiten und übernimmt organisatorische Aufgaben. "Es sind nicht nur Entführungen. Islamisten enthaupten Priester, zerstören Kirchen und vertreiben Christen." Gabriel sagt nur ein Wort: "Maalula."
Alle umstehenden Besucher des Zentrums nicken. Anfang September drangen radikal-islamistische Rebellen in diese für das Christentum so bedeutsame Stadt rund 60 Kilometer nordöstlich von Damaskus ein. Dort stehen die ältesten christlichen Klöster und Kirchen Syriens. Die Bewohner von Maalula sprechen ebenfalls Aramäisch. Jene antike Sprache, die über fünf Jahrhunderte lang die Lingua franca des Nahen Ostens war und in der Jesus Christus gepredigt haben soll.
Unter dem Regime von Baschar al-Assad durfte Aramäisch in der Schule nicht gelehrt werden. "Aber damit ist es nun vorbei", fügt Gabriel süffisant an. Er ist überzeugt, Präsident Assad wird nicht mehr lange herrschen. In Qamischli sind Regierungstruppen noch in wenigen Kasernen präsent. Der Flughafen ist nach wie vor unter ihrer Kontrolle. "Sie sind auf ihre Quartiere beschränkt und weitgehend machtlos", betont Gabriel. Man habe sich mit der syrischen Armee arrangiert, damit die Zivilbevölkerung und die Stadt nicht zu Schaden kommt. Nur nachts seien manchmal Schabiha unterwegs, die "Geister", berüchtigte Schergen des Regimes, die ihre Gesichter hinter schwarzen Skimützen versteckten.
Fast eine halbe Million Christen geflohen
Bis zu 450.000 Christen sollen bereits das Land verlassen haben. Das wäre beinahe ein Viertel der christlichen Gesamtbevölkerung Syriens. Aber nicht alle Flüchtlinge können sich das Ausland leisten. Sie suchen sich dann einen sicheren Ort in Syrien. Einer davon war das Wadi al-Nasara, das Tal der Christen. Es liegt unweit der libanesischen Grenze, in der Provinz Homs.
Vor dem Bürgerkrieg war diese Gegend ein beliebtes Ausflugsziel. Heute sollen dort in 40 Dörfern mehr als 150.000 christliche Flüchtlinge Schutz suchen. Das Wadi al-Nasara ist offiziell unter Kontrolle des syrischen Regimes. "Aber die Islamisten sind vorgerückt und beschießen das Gebiet", erzählt Gabriel. "Täglich kommt es zu Gefechten zwischen Rebellen und den Nationalen Verteidigungskomitees des Regimes."
Das Hauptquartier hätten die Islamisten im Krak des Chevaliers, dem höchsten Punkt der Region. Es ist eine legendäre mittelalterliche Kreuzritterburg, die besterhaltenste ihrer Art und seit 2006 Bestandteil des Weltkulturerbes der Unesco. "Wir organisieren Hilfslieferungen nach Wadi al-Nasara", erklärt Gabriel. "Ein Kollege war erst vor Kurzem dort. Wir kennen die Situation."
Oase des Friedens zwischen Blut und Hass
Eine regelmäßige Besucherin des assyrischen Kulturzentrums ist Arima Said. Sie leitet das lokale Fernsehstudio von Suroyo-TV, das im christlichen Viertel von Qamischli liegt. Täglich werden hier vier Stunden Programm produziert, das in die Zentrale nach Schweden geschickt wird und von dort per Satellit in die ganze Welt gesendet wird. "Seit das Regime nichts mehr zu sagen hat, können wir Christen endlich sagen, was wir wollen", meint die TV-Direktorin lachend.
Sie genießt die neue Pressefreiheit und führt stolz durch die Studioräume, die im Keller eines Appartementhauses liegen. "Wir wollen die Zukunft Syriens mitgestalten", sagt Said selbstbewusst. "Wir Christen sind schon einige Jahrtausende in Mesopotamien und haben das Recht dazu." Sie weiß aber nur zu gut, dass weder sie noch die Kurden als Minderheiten zu den anberaumten Friedensverhandlungen im November in Genf eingeladen werden.
Nach der kühl-klimatisierten Luft im Keller von Suroyo-TV sind die warmen Temperaturen der Herbstnacht auf den Straßen von Qamischli eine Wohltat. Beim Anblick der Pubs, Bars und Restaurants im christlichen Viertel, aus denen Popmusik dröhnt, könnte man fast den mit besonders brutaler Härte geführten Bürgerkrieg vergessen. Auf den Tischen stehen Bier und Wein. Frauen mit Kopftuch sind unter den Gästen. Eine Oase des Friedens und der Toleranz in einem Meer von Blut, Hass und Gewalt.
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